“Warum, warum?”, fragte fassungslos der 70-jährige Kriegsflüchtling aus Bosnien

Die verwendete Stinkbombe der JugendlichenP.G. und J.Z., beide Schüler einer öffentlichen Hauptschule, befanden sich auf dem Schulweg, als der Jüngere, Besucher der 2. Klasse, vor verschlossenen Türen eines Supermarktes stand, in dem er sich noch eine Jause kaufen sollte. Der Supermarkt war wegen Renovierung geschlossen. Anstatt ein anderes Geschäft aufzusuchen, um die Jause zu besorgen, begaben sich die beiden Burschen in ein angrenzendes Papier- & Spielwarengeschäft und investierten das Jausengeld in den Erwerb einer Stinkbombe. Am Weg zur Schule kamen Sie an einem ebenerdigen Haus vorbei, in dem ein Fenster offenstand. Laut Eigenangaben beschlossen sie die Stinkbombe bei der sich gerade bietenden „Gelegenheit“ zum Einsatz zu bringen. P.G. warf laut Augenzeugenbericht die aktivierte Stinkbombe in das offene Fenster.

Auf der Verpackung steht wie folgt zu lesen:

Durch leichten Druck auf die Verpackung das darin enthaltene Säckchen öffnen. Die Verpackung wird sich aufblasen, explodieren und einen starken Geruch abgeben. Inhalt nicht essen! Nur im Freien und unter Aufsicht Erwachsener verwenden! Nicht für Kinder unter 7 Jahren geeignet!

Es knallte, und die Stinkbombe explodierte im Zimmer der im Haus befindlichen Einliegerwohnung. Aus einer Entfernung von etwa 10 Metern beobachtete O. GENCYGITOGLU, der 30-jährige Betreiber eines Lebensmittelgeschäftes, das sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet, das Geschehen. Er stellte die Burschen zur Rede, denen diese Sache dann plötzlich mehr als unangenehm wurde, weil sie sich zuvor unbeobachtet wähnten. Gencyigitoglu notierte sich die Namen überlegte kurz, ob er die Polizei und oder die Direktion der Schule verständigen solle. Dann ersuchte er einen hinzukommenden Schüler, die Schulleitung von dem Ereignis zu informieren, damit diese, wovon er ausging, mit ihm in Kontakt treten würde. Dann ging er mit den Burschen, die den Schaden der Geruchsbelästigung und der verspritzen Chemikalie in dem Wohnzimmer verursacht hatten, zu dessen Mietern.

In ein offen stehendes Fenster dieses Wohnhauses wurde die Stinkbombe geworfen

In ein offen stehendes Fenster dieses Wohnhauses wurde die Stinkbombe geworfen

Ein älteres Ehepaar, das 1992 als Kriegsflüchtlinge aus Bosnien nach Österreich kam, ist in diesem Hause wohnhaft. Beide leben in sehr bescheidenen Verhältnissen und zurückgezogen in der betroffenen Wohnung des Hauses. Sie sprechen sehr schlecht deutsch, und der 70-jährige Mann brachte, schockiert und fassungslos über den Stinkbombenwurf, nur die Worte „Warum, Warum?“ über die Lippen. Die Buben entschuldigten sich, weil Gencyigitoglu sie erwischt hatte und zu diesem Zweck bei dem betroffenen Ehepaar mit ihnen vorstellig wurde. In der Schule stellten sie dies dann etwas anders dar, als wenn die Entschuldigung von ihnen ausgegangen wäre.

Der eingebürgerte Österreicher mit Zivilcourage

Der eingebürgerte Österreicher mit Zivilcourage

Von Seiten der Schulleitung meldete sich jedoch niemand bei dem Mann, der im Alter von 12 Jahren nach Österreich gekommen war, in diesem Land die Fachschule für Maschinenbau erfolgreich absolvierte, vor einigen Jahren eingebürgert wurde, seit Jahren Fußball in der Landesliga spielt und mit einer Zivilcourage versehen ist, an der sich so mancher ein Vorbild nehmen könnte. Der Schüler, den er bat, die Schulleitung zu informieren, hat dies laut Angaben der Direktion unterlassen. Und weil aus unserer Sicht das Werfen einer Stinkbombe in einem Wohnraum nicht mehr als Lausbubenstreich zu bewerten ist, weil damit auch eine Sachbeschädigung einhergeht, haben wir uns der Thematik angenommen und mit der Schulleitung Kontakt aufgenommen.

Die Direktorin beorderte während unseres Interviews den Käufer der Stinkbombe, J.Z., zu sich und verurteilte diese Tat und betonte, daß er sich hüten solle schon gar nicht in der Schule eine solche zu verwenden. Hierbei ist anzumerken, daß sein Schulkollege, P.G. die eigentliche Aktivierung und den Wurf vornahm. Sie handelten gemeinsam.

Was uns jedoch mißfiel, waren die gegenseitigen Schuldzuweisungen der Burschen, die nicht einmal den Mumm in den Knochen hatten, zu ihrer Handlungen und Entscheidungen zu stehen. Wie sagte doch J.Z.: „P. hat mich überredet“ und angeblich legten sie die Stinkbombe „nur“ auf das Fensterbrett – der Augenzeuge sprach jedoch davon, daß sie durch das offen stehende Fenster in den Wohnraum geworfen wurde.

Was andererseits nachdenklich stimmt, ist der gewonnene Eindruck des bosnischen Ehepaars, das Opfer einer Gemeinheit wurde und das dennoch jegliches Aufsehen vermeiden wollte. Es ist passiert, sprechen Sie nicht darüber und schreiben Sie bitte nichts, war aus den wenigen Worten der alten Frau zu entnehmen und abzuleiten. Menschen, die im Herbst ihres Lebens stehen, zusätzlich durch einen Krieg alles verloren haben und nur mit wenig Hab und Gut vor 17 Jahren nach Österreich gekommen sind; hier ein neues Zuhause gefunden haben, geben dem Deckmantel des Schweigens den Vorzug? Vielleicht auch aus Angst? Weil es Ausländer sind, die keine sozialen Kontakte zu Österreichern finden konnten? Nein, wir schweigen nicht – und wollen nicht behaupten, daß die Burschen wussten, wer in diesem Haus wohnt, was jedoch Einheimische anders beurteilen … Doch was wäre passiert, wenn es eine Pensionistin, eine Österreicherin gewesen wäre, die durch den Knall einen Herzinfarkt erlitten hätte, oder die Stinkbombe in das Gitterbett eines Säuglings gefallen und dort explodiert wäre?

Acht Tage nach der Tat teilte uns eine Angehörige des Ehepaars mit, daß bei dem Stinkbombenwurf zwar keine Gegenstände kaputt gingen, es jedoch noch immer bestialisch in dem Zimmer stinken würde. Aus dem von uns vorgenommenen Test mit dem gleichen Produkt (Vertrieb: Firma Out of the blue KG), konnten wir entnehmen, daß es zu einer Kontaminierung des Umfeldes mit den Inhaltssubstanzen kommt, die auch dadurch verstärkt wird, wenn die Explosion beispielsweise im Flug des Beutels erfolgt (siehe Kurzfilm). Warum überhaupt solch ein Produkt hergestellt und verkauft wird, entzieht sich unserer Kenntnis – aber über Videospiele zieht man her.

Es ist Unrecht geschehen, eine Straftat von zwei österreichischen Jugendlichen begangen worden, ein couragierter Mensch ausländischer Herkunft hat gehandelt und irgendwie kann man das Gefühl nicht loswerden, daß es Menschen gibt die sich schämen müßten, weil Menschen es vorziehen, den Mantel des Schweigens über erlittenes Unrecht zu breiten, als Wiedergutmachung für Angst, Schrecken und Sachbeschädigung zu erhalten.

101706

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