Die erwachte Vergangenheit – Chancen und Konfrontation in einer Kleinstadt

Friedhofsfund in der Volksschule Hainburg an der Donau

Es war und ist eine Sensation für die Stadt Hainburg a.d. Donau, etwa 50 km östlich von Wien nächst der Grenze zur Slowakei, als dort ein Friedhof gefunden wurde. Nicht die entdeckte Ruhestätte alleine, sondern die Kombination verschiedener Punkte, machen die Besonderheit aus. Es war ein feuchter Fußboden eines Klassenzimmers der dortigen Volksschule, der die Stadt veranlasste, eine bauliche Sanierungsmassnahme in Angriff zu nehmen. Das war der Beginn einer Entwicklung, die nicht nur für die wirtschaflich stagnierende Gemeinde Zukunftsperspektiven aufzeigt, nein, es gibt eine Vielzahl von Punkten die beleuchtet werden sollen. Dieser Beitrag sucht sein Verständnis nicht in einer nüchternen archäologisch betuchten Reportage, er soll vielmehr sachliche Inhalte präsentieren, die am Rande der Sensation eine Konfrontation zwischen den vergangenen Ereignissen und der Gegenwart vor Augen führt.

Während der letzten Wintermonate stellte man in der Hainburger Volksschule in einem Klassenraum, der sich im Erdgeschoß befindet, fest, dass Feuchtigkeit die Wand emporstieg. Der Verantwortungsträger, die Stadtgemeinde, beschloß, eine Sanierung des alten Holzfußbodens und der Wände in diesem Raum vorzunehmen. Zu diesem Zweck wurde der alte Boden entfernt und Abgrabungsarbeiten vorgenommen. Da tauchten plötzlich die ersten Knochen auf. Entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen wurden die Bauarbeiten umgehend gestoppt und das Stadtamt informiert. Hainburg/D. verfügt mittlerweile über einen eigenen Stadtarchäologen, Herrn Mag. Stefan SCHOLZ, der die notwendigen weiteren Massnahmen veranlasste. Durch das Umfeld der Volksschule, das angrenzende Beinhaus und die ebenso auf dem Grundstück vermutete St. Martinskirche lag der Verdacht nahe, daß es sich bei dem Knochenfund nur um die Spitze des sogenannten Eisberges handeln könnte. In Österreich ist das Bundesdenkmalamt für den Bereich der Archäologie zuständig und alle derartigen Massnahmen oder Feststellungen sind diesem unverzüglich mitzuteilen.

Nach Beurteilung dieses Amtes wurde die Wahrscheinlichkeit eines vorhandenen Gräberverbandes jedoch nicht angenommen. Man entschied sich dennoch für die Anlegung einer Sondage. Dies ist eine archäologische Probegrabung, bei der ein bestimmter Abschnitt freigelegt wird um festzustellen, ob und inwieweit die Stätte historisch bedeutend sein kann oder besser gesagt, was dort zu Tage tritt um letztendlich abzuklären, ob eine Bewilligung zur Durchführung einer archäologischen Forschung erteilt werden kann.

Im Zuge der Probegrabung entlang der Stirnwand wurden zahlreiche Knochenfunde sichergestellt, die jedoch für eine positive Bewertung durch das Bundesdenkmalamt dem Verantwortlichen, Herrn Dr. Christian MAYER, nicht ausreichten.

Wenn man nunmehr nach dem Freilegen der gesamten Grabstätte die Linie der Sondage betrachtet, so erscheint es, als ob die Probegrabung so richtig um die Gräber herumgeführt hätte – was aber sicherlich nur reiner Zufall sein kann. Wird man jedoch dem Sack mit den zahlreichen Gebeinen, die im Zuge der Sondage vorgefunden wurden, ansichtig, so kann man als Laie nur verwundert die Entscheidungen zur Kenntnis nehmen, die das Bundesdenkmalamt dazu veranlasste eine Bewilligung gemäß § 5 Bundesdenkmalgesetz zu erlassen, die eine Fortführung der Bauarbeiten für die Sanierung aussprach. Im Klartext bedeutete dies, das alles hätte einfach zubetoniert werden können – quasi amtlich. Der Beharrlichkeit und dem Einsatz des Stadtarchäologen und der Zuversicht der Stadtverwaltung dürfte es nunmehr zu verdanken sein, dass diese Ereignisse nur ein Beginn waren, um in eigener Regie weiter archäologisch tätig zu sein. Etwa 36.000.- EURO, die zur Hälfte von der Stadt und zum anderen Teil von einem Fond eines Geldinstitutes kamen, wurden für dieses Projekt zur Verfügung gestellt. So wurde der Klassenboden unter zahlreicher Beteiligung freiwilliger Helfer unter der Leitung von Herrn Mag. SCHOLZ freigelegt. Im Sommer war es dann so weit und die Fundstätte wurde der Öffentlichkeit präsentiert, nachdem das Bundesdenkmalamt über die Ergebnisse informiert worden war und eine Besichtigung vorgenommen hatte. Man hatte in dem Klassenraum mit den Maßen 6 x 9,3 m 74 Bestattungen und 27 Grabobjekte sichergestellt.

Es ist diese Örtlichkeit der Teil eines Friedhofes, auf dem vom 15. Jahrhundert bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts Beerdigungen vorgenommen wurden. Die Geschichte der Stadt Hainburg/D. beinhaltet einen Augenzeugenbericht vom Bau der Volksschule 1891. Da wurde das dortige Erdreich für den Bau um etwa 2 m abgegraben und der damalige Pfarrer Josef MAURER hielt fest:

… Es wurde schweres Pferdefuhrwerk benötigt um die zahlreichen Gebeine abzutransportieren …

Die Stadt Hainburg/D. hatte somit die erste archäologische Forschungsstätte im historischen Siedlungskern seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Fast parallel dazu stiess man bei einem kleinen Grünstreifen, der zwischen der Grundschule und dem Pfarrhof liegt, bei Grabungsarbeiten auf weitere Grabstätten. Diese sind jedoch noch älter und stammen aus dem 12. Jahrhundert und ebenso dort entdeckte man das Fundament der schon seit langem gesuchten St. Martinkskirche, die zur Zeit König OTTOKAR´s im 13. Jahrhundert bestand. Der Umgang mit dem Friedhof in vergangenen Zeiten dürfte wohl bemerkenswert gewesen sein. Später wurden unterschiedlichste Baumassnahmen an vielen Bereichen dieses Friedhofes vorgenommen, der sich laut Angaben durch die gesamte Längsseite der Grundschule ziehen soll. Mauerwerk einer alten Nadelfabrik wurden im Zuge der Grabarbeiten freigelegt. Dass die Arbeiter nicht gerade zimperlich mit den sterblichen Überresten umgingen, davon zeugen nun diese Zeitdokumente. So lässt ein Fund schmunzeln – es handelte sich vermutlich um einen Heizungsschacht, in dem sich ein verschlossenes Schnapsflascherl fand. Man geht davon aus, dass es einem Bauarbeiter gehörte, der mit Tätigkeiten betraut war. Es muss schon eine psychisch schwierige Aufgabe gewesen sein angesichts der vielen Skelette. Auch mehrere Totenschädel wurden ohne Körper festgestellt.

Eine Besonderheit der Grabstätten ist die dichte Reihung der Toten. Sie wurden sogar teilweise übereinander gelegt. Im Mittelalter gab es unter anderem drei besondere Arten der Bestattung, die mit dem Verhältnis zur Kirche zu tun hatten. So unterschied man: IN ATRIU – dabei wurde der Leichnam im Eingangsbereich beigesetzt; IN SANCTOS – dies war die Örtlichkeit des Chors in der Kirche und diese Gräber befanden sich unter der Kirchentraufe. Das ist jener Ort entlang der Längsseite des Kirchengebäudes, wo das Regenwasser vom Dach herabfällt – dieser wird als SUB LARMIS bezeichnet. Je näher man an der Aussenmauer beerdigt wurde, umso näher – dachte man – werde man dem Himmel sein. Dies ist im Hinblick darauf bemerkenswert, dass die Häufigkeit der übereinander gelegten Toten zunimmt, je kürzer die Distanz zu der Mauer wird.

Die in der Grundschule vorgefundenen Gräber sind Zeugen eines grausamen Ereignisses, wo die Türken während der Osmanischen Kriege Hainburg heimsuchten und die Bevölkerung fast auslöschten. So finden sich dort zahlreiche Paare mit ihren Kindern bestattet. Wie auf dem Foto auf Seite 10 dieser Reportage ersichtlich, wurde das Kind der Mutter auf den Schoss gelegt. Man weiß aus Überlieferungen, dass es Schlachten gab, wo Menschen erst einige Zeit nach dem Gemetzel in die Stadt kehrten, um die Toten zu bestatten. Diesem Kind fehlten Kopf, Arme und Beine. Es wird jedoch erst eine genaue Untersuchung darüber Auskunft geben können, ob die Extremitäten durch kriegerische Gewalt abgetrennt wurden, oder – was auch möglich ist von einem Tier. Viele Aufgaben sind hier noch zu lösen und die Überreste dieser Menschen sind ein Zeugnis. Die moderne Wissenschaft macht es möglich, vieles von den Abläufen zu erfahren. Man sollte ihr die Möglichkeit dazu geben. Für Hainburg/D., die als Mittelalterstadt berechtigte Chancen auf einen entsprechend erweiterten Toursimus hat, kann diese Fundstätte in Kombination mit den weiteren historisch wertvollen Sehenswürdigkeiten wie dem Wiener Tor oder auch der noch mehr oder weniger versteckt gehaltenen Synagoge im Stadtzentrum etwas bedeuten, was man ihr sonst schon fast abspricht – Zukunft. Am Rande zur Grenze fällt für Hainburg ausser Verkehr nicht mehr viel ab. Perspektiven für junge Menschen, um in der Stadt zu verbleiben, sind sehr rar.

MuhammetNadineInteressiert hat uns auch der Umgang der Schulkinder mit der Thematik, einen Friedhof im Schulgebäude zu haben. Noch während der Sommerferien im August haben die Befragten durch ihre Freunde Kenntnis von den Skelettfunden erlangt, so berichteteten sie. In der ersten Zeit des Schulbeginns war auch die Türe zu diesem Klassenzimmer offen und sie konnten hineingehen. Ganz unterschiedlich waren da die Aussagen. Während MUHAMMET (11) sich an dem Thema uninteressiert zeigt, arbeitet LUKAS (8) offensichtlich mit zahlreichen Besuchen auf eigene Faust das Thema auf. NADINE  (8) traut sich nicht unbedingt in den Raum, sie hätte keine Angst, jedoch wäre da so ein „komisches Gefühl,“ das AYCE (9) inhaltlich mit ihr teilt.

LukasAycaWas uns jedoch überrascht hat war der Umstand, dass keine gezielte Aufklärung durch die Lehrerschaft stattgefunden haben soll. Keines der befragten Kinder, wobei die hier abgebildetenen nur einen Teil davon darstellen, konnte darüber berichten. Nein, das Gegenteil war der Fall – der eine oder andere hätte sich mehr Information gewünscht, als nur die Bemerkung eines Skelettfundes. Das Grundschulalter ist beginnend mit 6 Jahren. Wer, wenn nicht der Pädagoge, wäre in einem solchen Fall berufen, aufklärend und informierend zu wirken? Aber vielleicht waren auch sie selbst mit dem Thema überfordert. Wir versuchten in der Direktion einen Schulvertreter anzutreffen, was uns jedoch nicht gelang. So bleibt den Kindern wie auch den Lehrern ob bewusst oder unbewusst die Gemeinsamkeit etwas zu teilen, was von tragischer Vergangenheit zeugt. Tag für Tag stehen sie auf den Toten und bestreiten ihren Alltag im Schatten der Vergangenheit. In einem Klassenzimmer wurde freigelegt, was sich durch das ganze Erdgeschoss ziehen soll.

Eine Vision von einem zur Gänze freigelegten Frontbereich im Erdgeschoss und Information, wo sie benötigt wird, das waren die Gedanken die beim Abschluss dieser Reportage gegenwärtig waren.

022810

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