(Hainburg) Was war das nur für ein feierlicher Akt, als im August 2009 erstmals die Pforten des LIVIOS, ein Gartenbaucenter mit Café-Bar, an der Westeinfahrt in Hainburg/D. geöffnet wurden. Zahlreich war die Prominenz geladen, als Helmut Huber, der laut Eigenangaben mit diesem Betrieb seinen Lebenstraum verwirklicht hatte, ihn seiner Tochter, Mag. Bettina Huber überantwortete. Wir waren beeindruckt von der Architektur und in den folgenden Monaten verging kaum ein Tag, an dem wir nicht das LIVIOS aufsuchten, teilweise sogar mehrmals pro Tag. Die Öffnungszeiten von 8 Uhr früh bis 2 Uhr nachts ermöglichten uns, dort so gut wie jederzeit Meetings abzuhalten oder auch abgeschieden an einem Akt zu arbeiten. (Bis zu 18 Stunden am Stück war der Gastronomiebetrieb von August bis Ende Oktober geöffnet.)
Eröffnung vom LIVIOS am 31.7.2009 – li. Mag. (FH) Bettina Huber, re. Landesrätin Dr. Petra Bohuslav
Einige Wochen nach Betriebsöffnung wurden wir dann von einer Mitarbeiterin um eine Visitkarte ersucht, jedoch ließ die Art und Weise, wie dieses Ersuchen gestellt wurde, die Schlußfolgerung zu, daß es sich um den eigenen Arbeitsplatz handeln müsse, bei dem etwas nicht stimmte.
Nach etwa zwei Monaten Betriebsdauer äußerten wir gegenüber einer anderen Mitarbeiterin, daß die Servicekräfte ja sicherlich ein kleines Vermögen verdienen müssten: Nachdem, egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit wir kommen würden, stets dieselben Personen im Dienst anzutreffen wären, hätten diese neben der vielen Arbeit auch noch besonders wenig Gelegenheit, das Verdiente wieder auszugeben. Dies war eigentlich als Scherz gemeint. Doch die Reaktion der Kellnerin war alles andere als belustigt, was uns dann peinlich berührte. Behutsam führten wir in Folge unzählige Gespräche; und nach und nach offenbarten sich uns Sachverhalte in solch einer Form, daß wir einen Akt mit der Bezeichnung „moderne Leibeigenschaft“ anlegten. Gar fassungslos machten uns die Schilderungen, insbesondere deshalb, weil wir seit Jahren laufend über gravierende Arbeitsrechtsverstöße in großen Betrieben berichten und somit mitten in der Thematik stehen. Daß wir allerdings bei einem „kleinen“ Familienbetrieb, dessen Angehörige uns persönlich nicht unbekannt sind, auf derlei Mißstände stoßen würden – war nicht nur überraschend, sondern delikat.
Mit den Angaben unterschiedlicher Dienstnehmer, unseren eigenen Aufzeichnungen, Erlebnissen und Ergebnissen von Recherchen unter Einbeziehung der Rechtsabteilung der ARBEITERKAMMER, suchten wir auf Grund des Bekanntschaftsverhältnisses vorerst das Gespräch mit Herrn Helmut Huber in der Erwartung der Einstellung der Mißstände und Gesetzesbrüche. Immerhin hatte er das LIVIOS als „Erfüllung seines Lebenstraumes“ deklariert. Am 15.12.2009 kam es zu dem Gespräch, in dem wir folgende Punkte und Sachverhalte, die die Betriebsführung durch Bettina Huber betrafen, darlegten:
Wir leiteten damit ein, daß, sofern die örtliche Dienststelle der ARBEITERKAMMER eine Statistik führte, in der im Verhältnis zur Betriebsdauer Interventionen für ausgeschiedene Dienstnehmer erfaßt wären, das LIVIOS wahrscheinlich den 1. Platz belegen würde. So gut wie jeder Beschäftigte, dessen Dienstverhältnis seit Betriebsöffnung beendet wurde, sah sich veranlaßt, die Hilfe der Arbeitnehmervertretung in Anspruch zu nehmen, um seine ausstehenden Lohnforderungen durchzusetzen;
Folgende Sachverhalte wurden Herrn Huber dargelegt:
Vereinbarte Überstundenzahlungen erfolgten nicht
.) Warum werden geleistete Überstunden nicht an Dienstnehmer ausbezahlt, wenn diese sogar mit dem Versprechen der Auszahlung von Überstunden von anderen Betrieben abgeworben wurden? Die Nichtauszahlung von regelmäßig absolvierten Überstunden wirkt sich auch lt. Angabe der NÖ AK auch auf das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) aus: Sofern ein Dienstnehmer regelmäßig bezahlte Überstunden leistet, hat er auch beispielsweise einen höheren Bezugsanspruch im Krankheitsfalle. Wegen der Nichtauszahlung der Überstunden mußte jedenfalls mindestens eine Dienstnehmerin bei der Bank einen Kontoüberziehungsrahmen beantragen;
Dienstnehmer stehen unter generellem Betrugsverdacht
.) Warum stehen alle Dienstnehmer unter generellem Diebstahlverdacht, bzw. warum wird bei jeglichem Anlaßfall dieser zum Ausdruck gebracht? (Beispiele: Fall 1: Im Betrieb ging eine Limonadensorte aus, es mußten kurzerhand Flaschen im Supermarkt nachgekauft werden. Dort gab es statt der von Frau Huber gewünschten 2-Liter-Flaschen nur solche mit 1,5 Litern Inhalt. Der Dienstnehmer kaufte die geforderte Anzahl Flaschen, nicht ahnend, dass die gekaufte Limonadenmenge sich durch das kleinere Flaschenvolumen im Gegensatz zur Berechnung im Vorfeld um 25% verringert hatte. Dies führte dazu, dass deutlich weniger Portionen als geplant ausgeschenkt werden konnten. Die Chefin forderte dann sofort vom Personal die Bezahlung der angeblich fehlenden Getränkeportionen. Fall 2: Im Zuge eines Durchganges im Lokal sieht Frau Huber an einem Tisch zwei Personen sitzen, die jeweils ein Menü gegessen haben. Sie begibt sich zur Kassa und kontrolliert die Tischabrechnung – offensichtlich ungenau. Sie beschuldigt die Kellnerin vor den Gästen, den Betrag für das zweite Menü abgezweigt zu haben. Diese reagiert erbost, entschuldigt sich bei den Gästen, holt direkt von deren Tisch beide Rechnungen und zeigt sie der Chefin. Tatsächlich war es der Wunsch der Gäste gewesen, ihre Konsumationen getrennt zu bezahlen. [Eine Dienstnehmerin hantierte mit Tortenstücken und beschädigte 3 – die Chefin verrechnete ihr alle zum normalen Verkaufspreis])
Spinde für Personl fehlten – Geld wurde gestohlen
.) Nach der Betriebseröffnung kam es zu Gelddiebstählen im Personalumkleideraum, weil es offensichtlich die LIVIOS GmbH verabsäumt hat, zeitgerecht Spinde für das Personal zu besorgen. Das Personal mußte seine Privatsachen offen in dem Raum deponieren. Die mutmaßliche Täterin konnte innerhalb der Crew dann rasch identifiziert werden. Nachdem die Diebin darauf angesprochen wurde, kam sie am nächsten Tage nicht mehr zur Arbeit. Das Geld bekamen die Geschädigten weder zurück, noch den Schaden ersetzt. Warum kam es überhaupt zu solch einem Manko – die einschlägigen Bestimmungen über die Arbeitsplatzausstattung sind doch eindeutig;
Eklatante Überschreitung der Arbeitszeiten – keine gesetzlich vorgeschriebenen Pausen und Ruhezeiten
.) Die Arbeitszeiten sind von der Gesamtstundenanzahl her unzulässig (bis zu 16,5 Stunden), oftmals auch ohne eigentlich zustehende Pause. Ruhezeiten, die vom Gesetz her festgelegt sind, werden ebenfalls nicht eingehalten (Kellnerin arbeitet beispielsweise bis 00 Uhr und hat dann wieder am nächsten Morgen ihren Dienst um 7:30 Uhr anzutreten). Als beispielsweise der Vertreter der AK die Arbeitsaufzeichnungen sah, sagte er einer Dienstnehmerin, daß sie sofort eine Meldung beim Arbeitsinspektorat machen kann, weil mehrfach die höchstzulässige tägliche Arbeitszeit überschritten wurde. Abänderungen des Dienstplanes gab es laufend, im Extremfall wurde der Arbeitsbeginn an einem Arbeitstag 3x per Telefon verschoben;
li: Arbeitsaufzeichnung einer Servicekraft in Gegenüberstellung mit jener von Bettina Huber -re. Laut Dienstnehmerin wurde 16 Tage durchgearbeitet, in Summe 174,5 Arbeitsstunden erbracht. Frau Huber bestätigt zwar ihren Aufzeichnungen, daß 16 Tage am Stück durchgearbeitet werden mußte, jedoch weist sie nur 159,75 Arbeitsstunden aus – Differenz 14,75 Stunden
Dienstpläne werden erst einen Tag vor Arbeitsbeginn bekanntgegeben
.) Die Dienstpläne werden von Frau Huber erst am Sonntag für die kommende Woche erstellt. Entweder begeben sich die Beschäftigten in das Lokal um den Arbeitsplan für die nächste Woche zu erhalten, oder müssen anrufen. Persönliche Zeiteinteilungen bzw. Vorausplanungen sind somit in keiner Weise möglich, was Mütter zusätzlich vor große Probleme stellt. Die Rechtsabteilung der NÖ AK teilt uns diesbezüglich mit, daß der Arbeitgeber die Dienstpläne zwei Wochen im voraus bekanntzugeben hat.
Regelmäßige Abrufbereitschaft per Telefon ohne Entgelt
.) Per Telefon abrufbar zu sein, was beim LIVIOS üblich war, und sich zur Verfügung zu halten, bezeichnet der Vertreter der AK als Abrufbereitschaft, die zu entlohnen wäre, was jedoch nicht erfolgte;
Keine Dienst- oder Arbeitsverträge erhalten
.) Einige Dienstnehmer haben weder einen Dienst- oder Arbeitsvertrag erhalten obwohl diese gefordert wurden;
Zwangsbeglückung zum Weihnachtsdienst
.) Die Öffnungszeiten zu Weihnachten sind ein eigenes Kapitel. In einer Werbeaussendung hat das LIVIOS vorerst öffentlich mitgeteilt, daß der Betrieb am 25.12. geschlossen wäre. Ab 14.12. fand sich jedoch auf jedem Tisch im Lokal ein Werbezettel mit dem Hinweis, daß am 25. geöffnet wäre. Frau Bettina Huber gab uns gegenüber an, daß die Öffnung am Weihnachtsfeiertag eine Idee des Personals gewesen wäre (!). Wir befragten sofort das anwesende Personal – Zitate: „Darüber haben wir noch nicht geredet„. Letztendlich arbeiteten am 25.12. dann zwei Kellnerinnen im Service, die einfach eingeteilt wurden, wovon eine nicht hätte arbeiten wollen (alleinerziehende Mutter); die Zweite enthielt sich einer Aussage;
li: der Postwurf an alle Haushalte mit den Öffnungszeiten für Weihnachten – „25. Dezember geschlossen“. re: die Gästeinformation ab 14.12. im Lokal aufgelegt – am 25.12. geöffnet
Zu den geleisteten Überstunden gab Herr Huber an, daß diese über die ruhigeren nächsten Monate durch Zeitausgleich abgebaut werden sollen. Dem hielten wir entgegen, daß die Auszahlung vereinbart worden war, die Dienstnehmer mit den ihnen zustehenden Überstundengeld gerechnet haben und außerdem in Anbetracht der Öffnungszeiten des Lokales und der geringen Größe des vorhandenen Stammpersonals, welches mittlerweile schon öfters den Servicebereich mit nur einem InkassokellnerIn bestreiten musste, niemals möglich sein wird.
Herr Huber versprach, mit seiner Tochter über diese Sachverhalte zu sprechen und begab sich in das Büro im LIVIOS.
Etwa 10 Minuten später kam die Geschäftsführerin, Mag. (FH) Bettina Huber, sehr aufgebracht zu uns in den Lokalraum und artikulierte lautstark „Ich habe gehört, Dir passen einige Dinge nicht!“. Sie fragte, ob der Kaffee nicht schmecken würde. Wir entgegneten mit der hier angebrachten Differenzierung zwischen Gast und Medienvertreter, der von ihren Dienstnehmern mit derartig eklatanten Verstößen gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen konfrontiert wurde. Wir boten ein Gespräch in Ruhe im Büro unter vier Augen an, denn uns gehe es primär um die Abstellung der Mißstände und die Einhaltung der Rechtsnormen. Die Geschäftsführerin zu den Vorwürfen: „Arbeitspolitische Belange haben Dich nicht zu interessieren!“.
Das sagte eine Chefin einem Journalisten, die lt. Angaben einer vormaligen Dienstnehmerin den Rauchern unter ihren Angestellten die Weisung erteilte, täglich eine halbe Stunde Pause aufzuschreiben, auch wenn sie gar keine Pause in Anspruch nehmen konnten und zudem für die Dienstnehmer Rauchverbot im Lokal galt.
li: Arbeitsaufzeichnung einer Dienstnehmerin: weil sie als einzige Kellnerin mit Inkasso im Lokal gearbeitet hat, konnte sie gar nicht die ihr vom Gesetz her zustehende 1/2-stündige Pause konsumieren. Lediglich 10 Minuten pro Arbeitstag konnte sie, zu einem Zeitpunkt als es der Betriebsgang zuließ, im Personalraum eine Zigarette rauchen. Auf dem Papier der Chefin sieht es allerdings etwas anders aus: bei jedem dieser Tage hat die Dienstnehmerin laut deren Angaben eine halbstündige Pause gemacht. Frage: wer hat dann bewirtet und kassiert. Äußerst bemerkenswert: am 19.10.09 hat die Dienstnehmerin einen 8-Stunden Arbeitstag gehabt, laut Chefin hatte sie an diesem Tag gar nicht gearbeitet!
Noch im Jänner 2010 meldete sich bei uns ein Angehöriger einer vormaligen Beschäftigten vom Gartencenter, um Unterstützung zu erhalten, da seine Lebensgefährtin seit 2 ½ Monaten auf ihre Endabrechnung und Geld wartet. Während sich eine weitere Dienstnehmerin vom LIVIOS, die im Restaurant-Café in leitender Position beschäftigt war (eine Dame, die selbst Jahre einen eigenen Gastro-Betrieb besaß und der lt. Recherchen ausgezeichnete Führungsqualitäten attestiert werden), sich maßlos über den Führungsstil der Chefin ärgerte, auch ihre Abrechnung nur über Intervention der AK erhielt, zeitgleich aber auf 1.000.- € zugesagter Zulage verzichtete, weil sie das nicht in schriftlicher Form nachweisen konnte, hat eine weitere vormalige Dienstnehmerin bereits den Gerichtsweg beschritten.
Am 15.2.2011 findet am Arbeits- und Sozialgericht Korneuburg das Verfahren gegen die LIVIOS GmbH wegen nicht bezahlter Überstunden statt. Im Gegensatz zu ihren Kollegen, stimmte die Dienstnehmerin keinem Vergleich zu, sondern beharrt auf die vollständige Bezahlung, der von ihr geleisteten Überstunden. Den Rechtschutz hat nach sehr genauer Prüfung des Sachverhaltes die Niederösterreichische Arbeiterkammer gewährt und Klage für die Dienstnehmerin eingebracht. Uns klingt noch die Aussage von Bettina Huber im Ohr, als im Jänner 2010 zahlreiche Preise im Lokal angehoben wurden – z.B.: alkoholfreies Bier von 3.- auf 3,50 €. Sie sagte darauf von uns angesprochen, daß sie ja auch die Überstunden bezahlen müsse.
Faksimile aus der Speise- und Getränkekarte vom LIVIOS 2009
Faksimile aus der Speise- und Getränkekarte vom LIVIOS 2010
Kommentar
Unbesonnen aus unserer Sicht die Aussage: „Arbeitspolitische Entscheidungen haben Dich nicht zu interessieren“. Gerade bei derlei Mißständen sieht sich der Journalismus dazu berufen, dagegen anzutreten und seine Pflicht zu erfüllen. Mißstände sind aufzuklären und in Folge zu beseitigen, Dienstnehmer sollten sich darauf verlassen können, daß sie entsprechend ihrer Schutzbestimmungen beschäftigt und nicht wie „Leibeigene“ behandelt werden. Ein Dienstnehmer ist kein Besitztum des Arbeitgebers, mit dem dieser tun und verfahren kann, wie er will. Die oben angeführten Beispiele sind nur ein Auszug dessen, was sich im LIVIOS laut Schilderungen der Dienstnehmer abspielte und wir selbst wahrgenommen haben. Es hat sich rückblickend auch gezeigt, daß unsere Aktivitäten sehr wohl zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen geführt haben, wie uns Aktive berichten, denn es hat beispielsweise nicht lange gedauert, bis die Dienstpläne zu einem angemesseneren Zeitpunkt an die Beschäftigten ausgegeben wurden.
Als durchaus interessant erachten wir den Aspekt der von Frau Huber der AK übermittelten Arbeitsaufzeichnungen ihrer vormaligen Dienstnehmerin, die im krassen Gegensatz zu deren Stundenaufzeichnungen stehen. Wir haben von unseren Besuchen und Recherchen im LIVIOS auch einige Rechnungen im Akt. Jeder Dienstnehmer beim LIVIOS hatte einen eigenen Schlüssel für die Kasse, den er erst bei Ausscheiden aus dem Unternehmen wieder abgeben musste. So findet sich auf jeder Rechnung Datum, Uhrzeit; und natürlich läßt sich jeder Kassabeleg auch einem Dienstnehmer zuordnen.
Es bleibt abzuwarten, ob die vorgelegten Arbeitsstundenaufzeichnungen vom LIVIOS mit den Kassabelegen korrelieren.
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